Interview mit Sabine Hertwig für die WAZ am 16.12.23, geschrieben von Laura Lindemann 

Vor welchen Herausforderungen stehen Patchworkfamilien an Weihnachten?

Sabine Hertwig: Weihnachten ist grundsätzlich für alle Familien eine Herausforderung, weil das Fest nach wie vor mit vielen Emotionen und Erwartungen verbunden ist. In Patchworkfamilien kann es deshalb besonders häufig zu Konflikten kommen. Denn oft wünscht man sich ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, wie man es noch aus der ursprünglichen Kernfamilie kennt. Das ist aber nicht exakt so umsetzbar.

Ist es schwierig, allen Ansprüchen gerecht zu werden?

Sabine Hertwig: Ja, an allen drei Feiertagen alle unter einen Hut zu bringen, ist eine Herausforderung. Häufig wollen die getrennten Elternteile jeweils Heiligabend mit den Kindern verbringen. Ein Elternteil steckt dabei meist zurück, das kann frustrierend sein. Das muss dann jedes Jahr aufs Neue verhandelt und aufgeteilt werden. Gerade die Kinder sitzen dann oft zwischen den Stühlen, fühlen sich schnell verantwortlich, obwohl sie das natürlich nicht sind.

Was halten Sie von der Regel: Der Mutter gehört der 24. Dezember?

Sabine Hertwig: Das ist eine sehr veraltete Regelung, die man heute so nicht mehr machen kann. Eine Ausnahme kann sein, wenn die Kinder etwa nur selten Kontakt zum Vater haben, dann wäre es schwierig, sie ausgerechnet an Heiligabend dorthin zu geben. Grundsätzlich bin ich aber der Meinung, dass die Kinder ein Recht auf beide Eltern haben. Deshalb sollte man versuchen, sich jährlich abzuwechseln. Auch können sich Eltern den Tag mit ihren Kindern aufteilen. Wenn sie beispielsweise den Heiligabend bei der Mama verbringen, können sie mit dem Papa aber einen Weihnachtsspaziergang machen, in die Christmette gehen oder zum Kaffeetrinken vorbeikommen. Wichtig dabei ist, die Kinder nicht zu überfordern. Wenn die Eltern weiter auseinander wohnen, sollte man seinen Nachwuchs an Heiligabend nicht stundenlang durch die Gegend fahren. 

Gibt es Fallstricke, die Familien an Weihnachten vermeiden können?

Sabine Hertwig: Ich finde es ganz wichtig, dass Diskussionen nicht vor den Kindern ausgetragen werden. Denn oft fühlen diese sich dann schuldig. Auch Geschenkeberge, um etwa Enttäuschung zu kompensieren, sollten Eltern vermeiden. Für Kinder kann es ein unangenehmes Gefühl sein, überladen zu werden. Ein weiterer Fallstrick ist, wenn Eltern auf Biegen und Brechen an Heiligabend mit den Kindern zusammen feiern wollen, auch, wenn sie schon getrennt sind – eine angespannte Atmosphäre ist dann vorprogrammiert.

Wie geht man damit um, wenn beide Eltern eine neue Familie haben?

Sabine Hertwig: Bei länger zusammenlebenden neuen Partnern gibt es so einen Grundsatz: Die alte Familie hat den Achtungsvorrang und die neue Familie den Handlungsvorrang. Das bedeutet, dass man den Ex-Partner achtet, etwa nicht schlecht über ihn spricht. Der neue Partner hingegen hat Priorität bei der Weihnachtsplanung. Bei der Entscheidung, wie gefeiert wird, sollte man auch auf die Bedürfnisse der Kinder achten. Fühlen sie sich wohl, wenn sie beispielsweise mit dem neuen Partner der Mutter feiern, den sie erst seit zwei Monaten kennen? Wichtig ist aber, dass die Erwachsenen letztlich die Entscheidung treffen und den Kindern keine Verantwortung aufzubürden. Meine Erfahrung ist: Wenn die Eltern einvernehmlich Entscheidungen treffen und diese klar vor den Kindern kommunizieren, dann machen diese meist mit.

Und wie sollte man handeln, wenn es am Abend selbst zum Familienstreit kommt?

Sabine Hertwig: Wenn sich Familienmitglieder gar nicht verstehen, ist es wichtig, die gemeinsame Zeit zu begrenzen oder gar getrennt zu feiern. Das ist besser, als so lange in einer angespannten Stimmung zu sein. Wichtig ist, sich immer wieder Freiräume zu schaffen und zu schauen, welche Zeiträume für alle gut auszuhalten sind. Gemeinsame Aktivitäten, wie etwa der Gang in die Kirche oder zu einer Weihnachtsveranstaltung, können die Atmosphäre auflockern. Auch gemeinsame Spiele sind eine gute Möglichkeit, um Diskussionen am Tisch zu vermeiden.